Ich habe mich immer gewundert, dass in Japan häufig das Resultat weniger zählt als das Bemühen, das heisst die innere Haltung. Wenn jemand z.B. ein neues Projekt in Angriff nimmt, sagen wir in Europa „viel Erfolg!“, in Japan kann es sein „gambatte kudasai“. Das heisst „Streng Dich an!“.
Zwei verschiedene Kulturen – zwei verschiedene Zugangsweisen. Es ist bereichernd, aus der Perspektive der einen Kultur auf die andere zu sehen.
Wenn man in Japan Kalligrafie lernt, dann gibt es Wettbewerbe. Dabei sieht die Jury nicht darauf, ob die Form der Schrift, d.h. das Resultat gut ist, sondern achtet auf die Pinselführung beim Schreiben. Die Pinselführung offenbart einerseits ob man bei einem guten Lehrer gelernt hat, andererseits zeigt sie aber auch die innere Konzentration und die Haltung. Sie macht sichtbar, ob die Schreibende in ihrer Mitte ist, ihre Körperhaltung stimmig ist. Sie zeigt, ob Gedanken den Fluss des Schreibens stören, oder ob jede Zelle des Körpers „mitfliesst“.
Die Schönheit einer japanischen Teeschale entsteht aus der Haltung des Keramikers, der die Teeschale geschaffen hat. Ohne angestrengtes Bemühen, eine besondere Schale formen zu wollen, entsteht die Schale aus dem inneren Wesen des Künstlers. Der Mensch und der Prozess sind eins. So verschwindet die Gegenüberstellung „Künstler schafft Kunstobjekt“. Die Bemühung hat vielmehr davor stattgefunden, eben jene Haltung und Einstellung zu erreichen, aus der dann Kunst entsteht.
Wie übt man diese Haltung? Der Königsweg dazu ist Zazen. Zazen ist keine Quickfix-Übung, die man mal an einem Wochenende erlernt. Es dauert lange, Monate, Jahre, Jahrzehnte.
Im „Sitzen“ lernen wir die Einheit von aussen und innen, von Willen und Nichtwillen (nicht immer einfach ;-)) von Erreichenwollen und Absichtslosigkeit. Und tauchen ein in Momente, in denen die Zenübung und wir eins werden und letztlich die Übung verschwindet ebenso wie die handelnde Person. Dann verstehen wir, was die Künstler, die Keramiker und die Kalligraphen damit meinen, dass ihr Werk aus ihrem Wesen, bzw. Nichtwesen entsteht.
Ich wende mich jetzt einer ganz anderen Ebene zu und frage mich, hat das eine Parallele im alltäglichen Arbeitsleben? Zählt für uns nur das Endresultat oder achten wir auch darauf, wie wir dieses Resultat erreichen? Nehmen wir mal unseren Arbeitsplatz her. Offenbart er unsere innere Einstellung zur Arbeit? Ist er so übersichtlich, dass wir alles sofort finden oder türmen sich die Papiere in einem Sauhaufen übereinander? Der Sommer ist eine gute Zeit, Dinge abzuschliessen und wieder Klarheit in unsere Arbeitsumgebung zu bringen. Ich habe heute jedes Stück und jedes Papier auf meinem Schreibtisch in die Hand genommen und mich gefragt, ob ich es wirklich brauche. Jetzt fühle ich mich viel klarer und bereit, wieder Neues in Angriff zu nehmen. Meine innere Haltung zur Arbeit hat sich verändert. Ob ich es jemals schaffe, meinen Arbeitsplatz so zu vereinfachen wie meinen Zazen-Platz? Ich glaube nicht. Aber doch mache ich mich auf den Weg…
Übrigens wer sich für ein gutes Buch zum Thema asiatische Keramik und ihren Bezug zu Zen interessiert: hier der Titel (leider schon vergriffen): Soetsu Yanagi: Die Schönheit der einfachen Dinge. Mingei – Japanische Einsichten in die verborgenen Kräfte der Harmonie.