Vor einigen Tagen traf ich einen alten Zen-Freund. Er war in einem deutschen Zen-Kloster gewesen, wo Achtsamkeit praktiziert wurde. Er sagte: „Alles haben sie achtsam gemacht. Sie sind achtsam gegangen, haben achtsam gekocht und achtsam Blätter eingesammelt. Die waren so achtsam, es war zum Kotzen!“
An jeder Ecke der Zen-Welt begegnen wir dem Wort Achtsamkeit. Dabei stellen viele Menschen einen hohen Anspruch an sich selbst. Sie wollen achtsam essen, achtsam Geschirr abwaschen, achtsam gehen und telefonieren. Und setzen sich damit erheblich unter Druck.
Einige Jahre vor ihrer Achtsamkeitspraxis lebten sie wie viele andere auch. Manche wollten ihren Abschluss an der Universität in Bestzeit machen, andere arbeiteten darauf hin, zum Senior Consultant befördert zu werden oder die gefragteste Grafikerin der Stadt zu sein. Dann merken viele, dass sie unter diesem Druck nicht weiterleben wollen. Also wenden sie sich einer Praxis wie dem Meditieren oder der Achtsamkeit zu. Doch auch dort wollen sie viel erreichen. Sie bemühen sich, sich noch mehr zu konzentrieren oder wollen jeden Moment ihres Lebens, von 7 Uhr früh bis 23 Uhr in Achtsamkeit leben. Viele Meditierende ersetzen das eine Ziel nur durch ein anderes. Sie bewegen sich andauernd auf ein Ziel zu und sind dann unzufrieden, wie und wo sie gerade sind. Damit produzieren sie sich selbst Druck und Schuldgefühle und fangen dann möglicherweise an, nicht nur sich selbst am Achtsamkeits-Zollstab zu messen, sondern auch andere. Das war es, was meinem Zen-Freund unangenehm auffiel.
Er erklärte seine starke Gegenreaktion auf die Achtsamkeitspraxis: „Als ich dorthin kam, war ich wie ein Aussätziger. Sie liessen mich spüren, dass ich dauernd Fehler in der Achtsamkeit machte. Dadurch entstand ein Hierarchiegefälle von jenen, die „ach, so achtsam“ sind zu den anderen, die noch nicht so weit sind.“ Das war dann letztlich ein Druck wie im „normalen Leben“ auch.
Ich bin ehrlich, ich tue mir schwer mit der Achtsamkeit im täglichen Leben. Wenn ich vor meinem Computer sitze und einen Blog schreiben will, ist mein Hirn wie ein Stück nasser Seife. Kaum will ich es auf den Text richten, glitscht mir das Hirn mit 100 anderen Gedanken davon. Es ist sehr schwer, mit dem Willen achtsam zu sein. Und ich glaube, vielen anderen geht es genauso.
Deshalb verlasse ich mich auf die gute alte Zen-Meditation. Da kann sich mein Willen ausruhen und ich muss nur sitzen, sitzen, sitzen. So wie jetzt in der sogenannten Rohatsu-Woche, wo das Fähnlein der 7 Aufrechten – in Wahrheit sind’s glücklicherweise meist mehr – mit mir ab 16.00 bis in die Nacht meditiert. Gestern war der fünfte Tag. Wenn wir so Stunde um Stunde sitzen, zerbröselt der Wille, die Gedanken geben es irgendwann auf, sich einzumischen und ein anderes Gesicht erscheint – lächelnd und heiter. Sind wir dabei achtsam? Ja das kann sein – vor allem aber leben wir Moment für Moment in der Freude.