Vor kurzem lachte mich auf dem Titelblatt einer Zeitung eine Sonne an. In Wahrheit hatte die NASA ein Photo der Sonne veröffentlicht, auf dem die Sonne zu lächeln schien. Koronale Gase hatten dieses Zufallsmuster erzeugt. Beim Anschauen merkte ich, wie ich innerlich zurück lächelte. Was für eine schöne Abwechslung, eine Zeitung in der Hand zu halten und lächeln zu können. Und: Wie schön ist es, in ein lächelndes Gesicht zu sehen.
In Kinderbüchern gibt es auch lachende Sonnen. Genauso wirkte das Zeitungs-Sonnen-Bild auf mich. Denn selbst wenn ich weiß, dass die Sonne keine Gefühle haben kann, rührt mich dieses Bild mit den hinauf gezogenen Mundwinkeln, der Knollnase und den lachenden Augen an. Das heißt, wenn wir ein Lächeln sehen, freuen wir uns und lächeln meistens zurück. Lächeln erhellt unser Leben.
Lächelnde Menschen beeinflussen uns
Schon kleine Babys können Gesichter erkennen und darauf reagieren. Das erlebte ich, als mein Mann und ich vor vielen Jahren mit unserem ersten Kind mehrere Monate in Japan lebten. Unser Baby war eineinhalb Jahre alt und blond, eine in Japan ungewöhnliche Haarfarbe. Überall wo wir hin kamen, wurde der Kleine bewundert. Alte und junge Japanerinnen tätschelten seinen Kopf und lachten ihn an. Das gefiel ihm und er lächelte zurück. Nach und nach entwickelte er sich zu einem sonnigen Kind, das jeden anstrahlte. Leider blieb das nicht so. Nach Österreich zurückgekehrt behielt er eine Zeit lang noch sein freundliches Wesen. In der ersten Zeit suchte er die Gesichter der Menschen, die uns in den Straßen begegneten und lachte sie an. Doch sehr oft bekam er kein Lächeln als Antwort. Die Menschen in Wien schauen eher mürrisch drein, sie sind mehr mit sich selbst beschäftigt.
Es war für mich schmerzhaft zu sehen, wie sehr sich unser Kleiner mehr und mehr in sich zurückzog. Er wurde ein Spiegelbild seiner Umgebung. Fortgewischt war sein sonniges Lächeln, er wurde ernst.
Auch von innen nach außen: Gesichter auf dem Vorhang und am Boden
Jeden Tag wenn ich aufwache, geht mein erster Blick auf das Muster meines Vorhangs. Es sind aquarellierte Blumen in rosa, hellblau und grün. Obwohl ich weiß, dass es Blumen sind, sehe ich doch immer wieder ein Gesicht. Manchmal ist es ein Clown, der mich ansieht, dann ein Fuchs, dann wiederum ein böses Gesicht.
Es mag mit meinen Träumen zusammenhängen, aus denen ich gerade getaucht bin oder wie ich gerade drauf bin.
Etwas Ähnliches hatte ich auch in den ersten Jahren meiner Meditation erlebt. In der Zen-Meditation hält man die Augen halb offen und blickt auf den Boden. Damals erkannte ich im Parkett oder im Teppichboden oft Gesichter. Am Anfang eines 7–Tages Retreats (Sesshin) waren es oft Fratzen, Gesichter von Dämonen. Dann verschwanden sie und manchmal am Ende der Woche, nach vielen vielen Stunden der Meditation sah ich wieder Gesichter, doch ganz andere. Sie lachten. Also hatte die Meditation in mir etwas bewirkt. Ich merkte auch wie fröhlich und leicht ich nach so einem Retreat in die Welt ging. Diese Heiterkeit strahlte ich auch aus. Plötzlich grüßten mich wildfremde Menschen auf der Straße oder lächelten mich an.
Das heißt, es gibt eine Wechselwirkung: je nachdem wie es in mir aussieht, erkenne ich außen freundliche oder unfreundliche Gesichter. Wieso ist das so?
Evolutionäre Mustererkennung
Offenbar hat uns die Evolution ein großartiges Werkzeug mitgegeben. Unser Gehirn sucht automatisch ein Muster, das einem Gesicht ähnelt. Das half und hilft uns schon von weitem zu erkennen, ob Menschen Freunde oder Feinde sind. In unserer Geschichte ist es wohl eines der sinnvollsten Programme: Je nachdem wie die Gesichter dreinschauten, konnten unsere Vorfahren die herannahenden Menschen mit offenen Armen empfangen oder hielten ihre Giftpfeile bereit. Das hat unseren Vorfahren wohl oft das Überleben gesichert.
Dieses Programm ist so stark in uns verankert, dass wir es auch auf Objekte übertragen. So sehe ich im Vorhang oder auf dem Parkett Gesichter, in einem Rasenmäher oder auf in der Rinde eines Baumes. Wenn sie ein freundliches Gesicht haben, stelle ich mich auf Lächeln und Freude ein. Wenn sie grimmig aussehen, dann bin ich auf der Hut.
Auch Autos und Häuser haben Gesichter
Besonders oft sehe ich ein Gesicht in einem Haus oder einem Auto. Ein kleines traditionelles Häuschen hatte ein nettes Gesicht: Die Fenster, die wie Augen in die Welt schauen, eine einladende Türe wie ein lächelnder Mund und ein Dach wie unsere Haare. So sehen die Häuser in Kinderbüchern aus. In einem solchen Haus möchte man leben. Seine Offenheit lädt Nachbarn und Freunde ein, mal auf eine Plauderstunde vorbei zu kommen.
Wie sehen heute moderne Häuser aus? Es sind keine, die mich anlächeln. Dunkelgraue Häuser mit Schlitzen statt Fenstern, ohne Dach und mit drohender Gebärde. Sie gleichen mehr den Trutzburgen aus dem Mittelalter. So sicher kann ich mir nicht sein, ob nicht ein Gewehrlauf auf mich gerichtet wird, wenn ich dort anläute. Das Haus in meiner Nachbarschaft mit dem undurchsichtigen Metallzaun und den bösen Augen (rechts im Foto) stimmt mich immer traurig. Da muss ich schnell wegsehen, um nicht meine gute Laune zu verlieren.
Und erst die Autos! Sie fahren wie Panzerwägen auf feindlicher Mission daher. Sie zeigen ihr Gebiss, die Scheinwerfer wie ein Raubtier verengt, breite Reifen, breites Chassis, wie ein Terminator auf Zerstörungsmission.
Durch welche Welt gehen unsere Kinder und Enkelkinder! Sie gleicht nicht mehr den Bildern, das ihre Kinderbücher zeichnen.
Sie drücken sich an parkenden Rambo-Autos vorbei und sehen in die drohenden Gesichter der Häuser. Wie stark muss sie das beeinflussen!
Wenn die Objekte, die die Menschen schaffen, der Ausdruck einer inneren Einstellung ist, hoffe ich, dass wir an einem Endpunkt angelangt sind. Vieles in der Menschheitsgeschichte ist ein Auf und ab, eine Welle, auf der nach einem Tiefpunkt wieder ein Aufschwung folgt. Deshalb vertraue ich darauf, dass die Welle wieder in Richtung Offenheit und Freundlichkeit geht. Ich male mir eine Welt aus, in der die Gegenstände, die wir schaffen, ein lächelndes Gesicht trägt. Eines, dem wir wieder zulächeln können.