Auch Extrovertierte brauchen Ruhe

Ist Meditation auch geeignet für extrovertierte Menschen? Das diskutierte ich mit zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, mit Sylvia Löhken und Margit Hertlein. Diese Frage möchte ich auch gerne Dir, liebe Leserin und lieber Leser, stellen.

Sylvia Löhken, DIE Expertin für Intro- und Extrovertiertheit,
ist Bestseller-Autorin und gefragte Vortragende
und bezeichnet sich selbst als introvertiert.

Margit Hertlein, gefragte Kommunikationstrainerin und Bestsellerautorin ist als Speakerin  DIE Humorbombe, also das, was man als sehr extrovertiert bezeichnen kann.

 

An einem heißen Sommertag saßen wir – Margit, Sylvia und ich – in Bonn am Rhein im traditionsreichen Hotel Dreesen unter einem Sonnenschirm am Wasser.

Der laut leise Diwan

Sylvia und Margit hatten gerade den „laut leisen Diwan„, eine Serie von Video-Clips abgedreht, in denen sie die Verhaltensweisen dieser zwei Menschentypen, der „Intros“ und der „Extros“ unterhaltsam demonstrieren.

Sylvia erklärte uns den Unterschied zwischen Intro- und Extrovertierten folgendermaßen: Unser Kopf hat eine Art Eingangshafen für Sinneseindrücke. Bei Introvertierten ist er klein und schnell voll. Bei zu vielen Reizen von außen fühlen sie sich schnell gereizt und „zugeparkt“. Sie brauchen immer wieder den Rückzug.

Extrovertierte verfügen hingegen über einen riesigen Containerhafen, der viel Stimulation und Abwechslung aufnehmen kann. Sie fühlen sich mitten im Trubel pudelwohl.

Unser Gespräch führte zu der Idee, Extrovertierte würden vielleicht eher bewegte Meditationsformen wie Qi Gong oder Yoga wählen, Introvertierten kämen möglicherweise unbewegte Meditationsformen wie Zen-Meditation entgegen.

Zu kurz kam beim Gespräch allerdings der – wichtige – Aspekt, dass Meditation weitaus mehr ist als bloße Entspannung. Wir gingen auseinander ohne eine endgültige Antwort gefunden zu haben. Das Thema gab mir aber keine Ruhe und so bat ich Margit, die „Extrovertierte“, mir nochmals einige Fragen zum Thema Extroversion und Meditation zu beantworten.

FW: Margit, Meditierst du?

Es kommt darauf an, wie man Meditation definiert. Auf jeden Fall brauche ich auch als Extrovertierte den Rückzug. Ich brauche immer wieder Phasen, in denen ich zur Ruhe kommen kann. Wenn im Büro drei Personen auf mich einreden und jede eine Entscheidung von mir will, dann ist mein innerer Drehzahlmesser im roten Bereich und ich brauche Ruhe. Die beste Methode ist dafür, mich hinzulegen. Entweder in meine Hängematte im Garten oder einfach ins Bett. Dann gucke ich in die Luft oder döse vor mich hin. Da gehe ich ganz in die Entspannung.

FW: Machst Du das täglich?

Nicht täglich, aber sehr oft. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten der Entspannung. Wir hatten z.B. vor kurzem ein Trainertreffen und als Überraschung war ein Trommelworkshop angesetzt. Im Trommeln kam ich auch sofort in die Entspannung.

FW: Du bist Trainerin und Speakerin mit mehr als 100 Vorträgen im Jahr. Das sind beides sehr extrovertierte Tätigkeiten, die eine hohe Anspannung erfordern. Wie entspannst Du da?

Ich lege mich einfach auf den Boden. Im Liegen komme ich am besten in einen meditativen Flowzustand. Die Böden sind aber hart, deshalb habe ich manchmal Stühle ohne Armlehnen nebeneinander gestellt und mich quer darauf gelegt. Das war nicht bequem, aber jetzt habe ich etwas Tolles gefunden: einen Luftsack. Den habe ich immer bei mir. Der ist zusammenfaltbar und klein und wenn ich ihn durch die Luft ziehe, wird ein richtiges Sofa daraus, auf das ich mich legen kann. So komme ich in die Ruhe, bevor die Teilnehmer zum Saal hereinkommen.

FW: Und danach? Wenn Du nach einem Seminar, nach einem Auftritt ganz aufgezwirbelt bist, wie kannst Du dann einschlafen?

Ich stehe bei einem Vortrag voll unter Strom, d.h. ich bin vollgepumpt mit Adrenalin. Wenn sich das Adrenalin langsam abbaut, bekomme ich Hunger. Dann muss ich etwas essen, etwas Gutes essen. Wenn es da nichts Gutes gibt, werde ich grantig. Das Essen ist meine Entspannungs-Zeremonie, damit ich wieder im Alltag ankomme.

FW: Du hast einmal erwähnt, dass Du auch ein Mantra verwendest?

Ja, ich habe vor vielen Jahren ein indisches Mantra für mich adaptiert. Es sind zwei Silben ohne Sinn. Das benütze ich manchmal, um mich in einer schwierigen Zeit zu beruhigen. Als mein Sohn operiert wurde und ich vor dem OP Saal warten musste, fühlte ich mich so hilflos, ich konnte ja nichts machen außer warten. Da fiel mir das Mantra ein. Das wiederholte ich und das hat mir geholfen. Mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen und irgendeiner Einheit mit dem Göttlichen habe ich aber – noch – nichts am Hut, aber das kann ja noch kommen. Wichtig ist für mich, dass man im Jetzt zu Hause ist und seine Aufgaben erfüllt.

FW: Dient Dein Rückzug nur der Entspannung?

Nein. Die ruhige Zeit ist eine Schatzkammer. Es ist eine Zeit, in der ich mit mir ins Reine komme. Ich schätze daran, dass mein Gehirn in einen anderen Modus kommt, sein Ruhezustandsnetzwerk aktiviert. Da werden ganz andere Gehirnregionen aktiv, dann bilden sich andere Assoziationen und Verknüpfungen und ich werde richtig kreativ. Deswegen ist die ruhige Zeit ein Geschenk.

FW: Danke Margit für den Einblick in Dein Leben.

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In unserem Zen-Zentrum gibt es Introvertierte und Extrovertierte. Erstere scheinen in der Überzahl zu sein. Ist Zen-Meditation mit dem stillen Sitzen also besonders für Introvertierte geeignet? Das ist eine Frage, die mich beschäftigt. Hast Du selbst zu diesem Thema Erfahrungen und Beobachtungen? Das würde mich interessieren. Schreibe mir doch bitte Deine Gedanken dazu.

Was denkst Du darüber?