Vom ersten bis achten Dezember meditieren weltweit zehntausende Menschen intensiv, um des Erwachens Buddhas zu gedenken.
In unserem Zen Zentrum Mishoan gehen wir seit acht Jahren einen eigenen Weg. Wir arbeiten untertags und meditieren täglich ab 16.00. So nehmen wir die Qualität der Meditation in den Alltag mit.
Doch lest selbst. Eine Teilnehmerin, Irene, schildert, wie es ihr dabei ergangen ist.
Meine Reise mit Rohatsu
Anfang Dezember gibts das sogenannte Rohatsu, ein Intensiv-Meditationsblock, der gewöhnlicherweise von 1. bis 8. Dezember dauert. Man sagt, dass Buddha am 8. Dezember die Erleuchtung hatte. Es ist das strengste Sesshin im Buddhismus, es wird manchmal nur 2 Stunden pro Nacht geschlafen, oder gar Nächte durch meditiert.
Die verschiedenen Zendos (das sind einzelne Gruppen) machen das hier im Westen recht verschieden. Mein Zendo – das Mishoan – hat es von 16 – 21:30 quasi berufsbegleitend angesetzt. Und diese Kombination fand ich ganz, ganz wunderbar.
Ich war fünf Tage hintereinander dabei.
Meine Tage waren also eingeteilt – in Arbeit davor und in Meditation.
Shiatsu hab ich in dieser Woche sehr reduziert, ich hab die Arbeitszeit genutzt um die Steuer zu machen. Ich bin also in der Früh aufgestanden und hab mich erstmal vor allem mit Zahlen beschäftigt. Gedanken wie „oh Gott, werd ich damit jemals fertig“, ein „hab ich grad überhaupt Lust das zu tun- die Antwort ist NEIN!“, sowie ein „mit was soll ich anfangen“ oder „zuerst noch brauch ich dringend einen Kaffee, und dann noch schnell ein Telefonat, da noch ein schnelles mail“ waren nutzlos. Weil ich erstaunlicherweise einfach angefangen hab und die Handgriffe GETAN hab. Einfach eins nach dem Anderen. Die Gedanken waren zwar witzigerweise trotzdem da, aber sie hatten nichts damit zu tun was ich TAT, sie haben mich nicht beeinträchtigt – ich war erstaunt, wie unwichtig und ja – sinnlos – die Gedanken dazu waren!
Für die Shiatsus in dieser Zeit waren meine Fühler besonders „gespitzt“ – also nicht die Ohren, sondern die gesamte Wahrnehmung. Denn wenn man so viel Zeit mit anderen zusammen in Stille sitzt, dann ist sogar beim Sitzen „ganz schön viel los“, weil sich die Wahrnehmung darauf einstellt.
Körperliche Grenzen verschwimmen, ja lösen sich auf, weil man muss sich nicht schützen, muss nicht reagieren, sondern ist einfach Teil der Zeremonie, zu der man DA ist. Das ist alles. Im alltäglichen Leben blendet das Gehirn den Verkehrslärm aus, die Herausforderung ist anders, denn man muss mit anderen zusammen halt „funktionieren“, re-agieren, und da selektiert die Wahrnehmung halt nach Wichtigkeiten. Das, was ich beim Meditieren „tun“ muss ist, aufrecht zu sitzen. Gedanken an Zukunft, Vergangenheit lösen sich aus, weil alles im JETZT vorhanden ist. Hm, das klingt so „erleuchtet“. Ich vermute, das ist es aber noch nicht, höchstens der Anfang einer exponentieller Annäherung.
Wie kann man sich das vorstellen?
Ich kann natürlich nur von meinem persönlichen Erleben berichten, davon, wie ich es empfinde, und werde es hier also mit Worten versuchen:
Durch die Zeit und die Routine, die man im Zendo meditiert hebt sich die Zeit also selbst auf. Gleichzeitig flirren Vorstellungen und Gedanken durch den Raum: Wir atmen, Blut fließt und wir bewegen uns sozusagen ständig minimal. Stillstand gibt es nicht, Stillstand „exisitiert“ nicht. Gleichzeitig gibt es aber auch keine Zeit. Und trotzden „existiert“ die Zeit. Wie ein Faden, der sich durch eine Zeitfläche zieht. Der Faden selbst wird unwichtiger, es ist mehr die Fläche, in die sich dieser Faden einbettet. Manchmal ärgert man sich latent, und dann kommen Dinge daher, über die man sich auch „tatsächlich“ ärgern könnte. Manchmal kommt Liebe und Dankbarkeit daher und es kommen zu dieser Zeit auch andere Dinge oder Vorstellungen rein, die man mit Liebe verbindet, dann vielleicht die Verzweiflung, weil der Körper schmerzt – aber damit andere Dinge, die man mit Verzweiflung verbindet und es geht also wohl doch nicht um den Körper als solches, denn die Schmerzen verschwinden. Und so weiter. All dies sind wohl Aspekte vom Dasein, die gelebt werden wollen, die gespiegelt werden wollen.
Wie Zutaten einer Suppe, die miteinander einen nahrhaften Brei ergeben. Die Zeit spiegelt Aspekte der Suppe, die in den Vordergrund treten wollen. Und die Suppe ist bei jedem Sesshin ein bissl anders, weil man von einer anderen Lebenssituation kommt und andere Dinge hochkommen, die beobachtet werden wollen. Das spannende: All dies kommt aus sich selbst – nicht von einem Umfeld. Das Umfeld klärt sich zuerst, danach bleibt die eigene Vorstellung davon und dann das Große Ganze, das dabei zu erahnen ist. Also Gesellschaft an sich, kollektiv Erlebtes. Vielleicht kollektive Einsamkeit, kollektives Sitzen vor dem Computer, kollektives Angst-vor-Abweisung-und-darauf-agiere-ich-irgendwie. Somit kommt die Liebe zum Allgemeinen durch, also das Unmarmen des Großen Ganzen, der Menschheit und ja – das Mitgefühl. Erlebt als kleiner menschlicher Teil des Ganzen, in dem das Ganze aber enthalten ist. Und das im zeitlichen Ablauf auserlebt werden will.
Das klingt alles abstrakt vielleicht, wird aber für mich beim Meditieren ganz real.
Und dann geht man – wie beim Sesshin im Mishoan – nach dem Meditieren nach Hause und hat gefühlt keine „Haut“ – ist offen mit der Welt verbunden. Alles wird intensiv und direkt erlebt, die Wertung wird unwichtig. Dann können schon private Erlebnisse besonders intensiv sein, sich aufdrängen. Weil man vielleicht weiter reinblickt, oder die eigenen Themen/Reflexe/Dynamiken wieder sieht, die mit der eigenen Geschichte da sind und erlebt werden wollen, da kommt man nicht drum rum. (Ich nehm an das nennen die Buddhist*innen „Karma“?) Und so geht es also wohl jedem Menschen. Das ist das Verbindende. Andere Menschen, Situationen, in denen man sich wiederfindet dienen so gesehen als Übung, damit immer wieder umzugehen und ein Stückchen als Ganzes weiterzukommen. Im Schmerz, in der Liebe, in der Verzweiflung, im Annehmen, im Mitgefühl und letztendlich in der grundsätzlichen Verbundenheit.
Mir selbst hat diese enge Routine sehr gut getan, was bestimmt auch daran liegt, dass ich mich grundsätzlich in der Arbeit selbst organisieren muss. Also – komplett. Es gibt keine Chefin oder Chef, wofür ich aufstehen muss und über den/die ich mich zumindest a bissl „ärgern“ könnt, sondern – das bin ich halt selbst. Die Routine, die Gesamtstruktur eines Sesshins bewirkt, dass ich mich ganz der Meditation widmen kann, ganz versenken kann. Mit anderen zusammen. Das fand ich unglaublich toll.
Ich bin unendlich dankbar für das Sesshin, und für diese spezielle Art des Sesshins, wo man sich gleichzeitig auch der Umwelt aussetzt und sozusagen direkt die eigenen Themen gespiegelt kriegt. Und es sei gesagt – wenn man das schon in eine Wertung einteilen möchte – da geht es nicht um negativ Gespiegeltes, sondern auch um positives und ganz viel unbestimmtes, spannendes, buntes Dazwischen.
Was für eine gute Art auf Weihnachten und den Jahreswechsel eingestimmt zu sein!