Putzen: Katharsische Zen-Praxis

Yippii, ich freue mich sehr, dass sich für das morgige Putzen im Zendo 5 (fünf!) Leute gemeldet haben! Warum, das lest Ihr hier.

Fleur in Japan 1978

Leben auf 10 m2

Fleur-Küche 1978

Der Herd am Gang

Vor vielen Jahren, als ich in Japan studierte, bewohnte ich ein sechs Tatami-Zimmer mit Kochplatte im Gang. Kein Badezimmer. Sechs Tatami, das sind ca. 10 m2. Im Vergleich zu anderen meiner Freunde, die nur 5 m2 zur Verfügung hatten (3 Tatami) , war das üppig. Es passte ein kleiner Tisch, zwei Kissen am Boden und ein Regal hinein. Das Futon zum Schlafen holte ich am Abend heraus und verstaute es am Morgen wieder im Kasten. Ich hatte alles was ich brauchte. Da der Platz sehr begrenzt war,  machte ich  auch jeden Tag sauber. Heute wohne ich auf viel mehr Quadratmetern. Das ist auch schön. Ich habe ein Klavier, auf dem ich spielen kann, ein Büro mit vielen Fachbüchern, eine große Küche. Und dennoch…

Die alten Zen-Meister hatten ihren Meditationsplatz im Kloster oder eine winzige Einzimmerhütte am Berg. Es war selbstverständlich, dass sie dieses Zimmer jeden Tag (!) reinigten und ihre wenigen Siebensachen selber instand hielten. Es war für sie ein Teil ihrer täglichen Meditationspraxis.

Ein solcher Aufwand jeden Tag ist für die meisten Menschen heute gar nicht möglich. Zu große Wohnungen, zu wenig Zeit. Viele Jahre lang beschäftigte ich auch Haushaltshilfen, die es mir ermöglichten, meine Familie, Karriere und meine Wohnung irgendwie unter einen Hut zu bringen. Seit fünf Jahren ist mein Leben nicht mehr so kompliziert. Und seither übernehme ich selbst Verantwortung für die Dinge, die ich besitze. Es gelingt mir noch immer nicht vollständig, aber es wird besser. Drei Faktoren scheinen mir einen Einfluss zu haben.

1. Ich merke, dass sich die Beziehung zu den Räumen und den Dingen darin ändert, wenn ich für sie sorge. Jedesmal wenn ich einen Raum reinige, Bücher in die Hand nehme, Regale abstaube, entsteht in mir ein Gefühl, dass sie versorgt sind. Es ist ein körperliches und geistiges Gefühl des Wohlbefindens. Ich stelle eine Verbindung zu den Dingen her, ich fühle mich aufgehoben.

2. Die Aufmerksamkeit bei dieser Tätigkeit verhindert, dass mein Kopf ganz woanders ist, während ich arbeite. Körper und Geist spielen zusammen. Ich komme in den Moment.

3. So wie mein Körper die Räume reinigt, so wirkt es sich auch auf den Geist katharsisch aus.

Auch in unserem Zen-Zentrum muss regelmäßig geputzt werden. Neulinge, die noch nicht lange meditieren, fragen häufig, warum wir keine Putzfrau beschäftigen. Alte Zen-Hasen merken aber die Auswirkung auf sich selber. Und auch der Raum hat sich für sie verändert, wenn sie den Boden gewaschen oder die Tatamis gelüftet haben: „ Ich freue mich über die Sauberkeit hier und es hat in mir auch etwas bewirkt, ich fühle mich innerlich wie frisch geduscht,“ sagte eine Zen-Putzerin.

Und jetzt wisst Ihr, warum ich mich so gefreut habe, dass fünf Menschen morgen in das Zen-Zentrum putzen kommen. Es zeigt nicht nur, dass so viele die Verantwortung für die gemeinschaftlichen Räume übernehmen, nein, es zeigt auch, dass sie verstanden haben, dass Zen nicht nur auf der Matte, sondern im täglichen Leben stattfindet.

Der Joshu-Reflex: Tun was ansteht

Eines Tages ging ich mit einem Freund im Wienerwald spazieren. Da lag eine weggeworfene Plastikflasche am Weg. Viele Menschen wären einfach weitergegangen. Er hob sie auf und trug sie so lange bei sich, bis er eine Möglichkeit fand, sie zu entsorgen. Er erzählte mir daraufhin, dass er es zu seiner Gewohnheit gemacht hat, herumliegenden Müll aufzuheben. Oft nimmt er zum Beispiel von einem Teich, wo viele Jugendliche „wild“ baden gehen, leere Bierdosen und anderen Mist mit, damit sich am nächsten Tag die Menschen am schönen Badesee erfreuen können.

Das erinnert mich an die bekannte Geschichte des chinesischen Zen-Meisters Joshu Jushin (778-897). Sie geht so:

Wasche Deine Schale!

Wasche Deine Schale aus!

Ein Mönch sagt zu Meister Joshu: „Ich bin neu hier im Kloster. Gebt mir bitte Unterweisung!“ Darauf Joshu: „Hast Du schon gefrühstückt?“ Der Mönch: „Ja, das habe ich“. Joshu: „Dann geh und wasche Deine Schale aus.“ (Quelle: Mumonkan #7)

Joshu war ein Zen Meister, dessen Größe gerade darin lag, unspektakulär in der Welt zu wirken. Ohne große Diskussionen, ohne viel Herumzuphilosophieren tat er das, was gerade ansteht. Joshu steht für mich für:

1. Das Potential dieses Moments zu erfassen – und –

2. Verantwortung für die Situation dieses Moments anzunehmen

Ich bleibe beim obigen Beispiel. Das bedeutet: Auch bei einem schönen Spaziergang nicht wegzuschauen und sich zu denken, „dafür sind die Müllmänner da“.  Es könnte genauso sein, dass ein Blinder nicht alleine die Strasse überqueren kann, oder dass in der U-Bahn jemand angepöbelt wird. Wir sind immer wieder gefordert, das Gesamtbild des Moment wahrzunehmen und danach zu handeln, auch wenn es anfänglich unbequem zu sein scheint.

Haben Sie auch noch von Ihrer Kindheit im Ohr: „Wer hat das angestellt?“ In der Schule oder auch zu Hause ging es oft darum, die Schuldigen herauszufinden, damit diese das Problem wieder beseitigen, ob es ein eingeschlagenes Fenster ist, oder ein Fleck auf dem Teppich. Die Nichtschuldigen freuen sich und schauen zu, wie die Übeltäter bestraft werden oder es wieder wegputzen müssen. Ob diese Erziehungsmassnahme sinnvoll ist, möchte ich hier nicht beurteilen. Es führt jedenfalls dazu, dass wir uns gar nicht betroffen fühlen von Dingen/Situationen, die wir nicht verursacht haben. Wir lassen sie liegen, wir schieben sie anderen zu.

Andererseits gibt es auch viele Menschen, die ein Problem erkennen und sofort etwas tun, um eine Lösung herbeizuführen. Ohne zu jammern und ohne jemandem anderen die Schuld zuzuschieben. Sie übernehmen Verantwortung, egal, ob es nun von ihnen erwartet wird oder nicht, und gleichgültig, wer das Problem verursacht hat. Das nenne ich den Joshu Reflex.

Mich hat die Tat meines Freundes inspiriert, meinen Jogging-Weg zu „adoptieren“. Ich laufe jeden Tag die gleiche Strecke, einen Weg, der auch oft von Spaziergängern begangen wird. Da liegen Bonbonpapiere, Bierdosen, Plastikflaschen herum. Nach Silvester liegen viele Reste von Knallfröschen und Feuerwerk auf den Wiesen verstreut. Ich habe immer ein kleines Plastiksackerl in der Jackentasche und wenn ich etwas sehe, klaube ich es auf und gebe es hinein. Am Schluss wandert alles in eine Mülltonne. Niemand weiss von meiner „Adoption“ (bis jetzt ;-)), trotzdem macht es mir viel Freude, „meinen“ sauberen Weg jeden Tag entlang zu laufen.

Es würde mich sehr freuen, wenn Ihr die Diskussion aufgreift und andere Beispiele für den Joshu-Reflex beisteuern könntet, ob von Euch oder von anderen Menschen! Klicke einfach unten auf Kommentar und gib uns ein Beispiel!