Stille: eine aussterbende Art – oder doch nicht?

Ertragen wir die Stille nicht mehr? Kürzlich sah ich einen Film, in dem eine Großstädterin wegen einer Autopanne unfreiwillig auf einem Bauernhof in der Einschicht gelandet war. Am ersten Abend konnte sie nicht einschlafen. Was sie störte war … die … Weiterlesen

Ein Sonntag für den blauen Himmel

„Jetzt fängt es schon wieder an“, seufzte Paul, der Mann an meiner Seite. Es war ein Wintertag im Lockdown Modus. Die Sonne glitzerte in Regenbogenfarben auf den Schneeflecken, die Menschen streckten ihre bleichen Wintergesichter in die Sonne und über uns … Weiterlesen

Staub weg – Geist rein

Vergangenen Sonntag morgen sitze ich mit meiner Tasse Tee am Frühstückstisch. Plötzlich bemerke ich durch die Büsche am Zaun eine Bewegung, jemand geht mal nach links, mal nach rechts. Beim näheren Hinsehen bemerke ich einen jungen Mann, der mit Hingabe … Weiterlesen

Ausmisten: Abschied von der Last des Zuviel

Wir misten aus. Radikal. Vieles was sich im Laufe eines langen Lebens angehäuft hat, hatte ich schon jahrelang nicht in der Hand gehabt. Bücher, die ich in meiner Studienzeit gelesen hatte, Bücher, die mir irgendwann interessant erschienen waren und die … Weiterlesen

Jahresmotto statt guter Vorsätze

Sechs von zehn Menschen scheitern an ihren Neujahrsvorsätzen. Jahrelang wollte auch ich mich ab 1. Jänner hinauf optimieren. Die guten Vorsätze hielten längstens vierzehn Tage und danach fühlte ich mich schlecht. Eine Stimme flüsterte innerlich: „Wieder eine Niederlage. Du schaffst … Weiterlesen

Dinner cancelling auf buddhistisch

Dinner cancelling ist eine gesunde Sache. Wenn meine Mittagszeit in den Nachmittag rutscht, lasse ich das Abendessen aus und fühle mich prächtig – trotz knurrenden Magens. Herrlich, wenn der Bauch am nächsten Morgen sich konkav nach innen wölbt. Trotzdem mag … Weiterlesen

Wieviel Minimalismus ist sinnvoll?

mlm-gross-cropMinimalismus ist in Mode. Wie reagieren Sie, wenn Sie zu Weihnachten die dritte Designer-Zitronenpresse bekommen? So manche sagt dann:  Zu viel, zu viel!  Bücher, Geschirr, Kleider, alles in 10facher Ausfertigung, ich bekomme keine Luft mehr!
Daher liegt Minimalismus im Trend, in besonders radikaler Form aber unter jungen Japanern.

mlm-mittel-cropSchon viele Jahrhunderte lang steht  Zen für radikale Vereinfachung. Keine Schnirksel Schnörksel, jede Form funktionell und ästhetisch auf den einfachsten, elegantesten Nenner gebracht. Leere Räume. Alles was nicht gebraucht wird, wird verborgen und in doppelten Wänden, Schränken, Lager verstaut.
Inzwischen, das erfährt jeder Japanreisende, haben sich viele japanische Wohnungen aufgrund des beengten Platzes in angeräumte Abstellkammern entwickelt. Manche jungen Leute haben in ihrem einzigen kleinen Raum Computer, Bücherregale, das Surfbrett, das Fahrrad und das Snowboard übereinander gestapelt. Von Leere keine Spur.

mlm-kurz-cropNun greifen junge Japaner die alte Idee wieder auf, die Wohnung radikal zu entmisten. Sie leben in fast leeren Wohnungen. Sie lesen Bücher nur mehr digital, verwenden nur einen einzigen Topf und eine Herdplatte zum Kochen und leihen sich alles, was sie brauchen, aus. Auch im Kleiderstil kommen sie mit einigen Hemden und Hosen aus: Elisa Sasaki z.B. limitierte ihren Kleiderbestand radikal, nachdem sie ein Jahr im Ausland gelebt hatte und mit einer kleinen Reisetasche auskommen musste: „Wenn Du etwas besitzt, hast du auch die Verantwortung dafür. Daher ist es wichtig, die Dinge die Du besitzen willst, sorgfältig auszuwählen. Dann hast Du Kapazitäten für die Dinge, die Dir wirklich wichtig sind“. Ein anderer junger Japaner, Katsuya Toyota, lebt in seiner 22 m2 Wohnung nur mit einem Tisch und einer Matratze. Er sagt: „Ich wurde Minimalist, damit ich nur mehr Dinge besitze, die ich liebe.“ (Bilder dazu http://www.bbc.com/news/in-pictures-36574697).

Hinter dem Minimalismus der jungen Japaner steht häufig gar nicht so sehr die Idee des Ausmistens, sondern die Sehnsucht danach, den Wert der Dinge wieder zu spüren und zu schätzen. Minimalismus bedeutet für sie, nur mit schönen Dingen einfach zu leben, eine Idee des ästhetisierten Zen. Ein zweiter Aspekt ist, dass Dinge nicht mehr so viel Aufmerksamkeit benötigen. Je mehr man besitzt, desto mehr Arbeit geht drauf, den Besitz zu verwalten, zu verbessern, zu reinigen. Je weniger man besitzt, desto mehr Zeit wird frei, um sich Freunden zu widmen und Erfahrungen zu machen. Vom verdichteten, „sicheren“ Materiellen verschiebt sich das Leben ins Prozesshafte, Unsichere, aber auch Lebendige. Was benötigt wird, wird „geshared“, ausgeliehen oder nur kurze Zeit verwendet und wieder verkauft. Das ist auch unter jungen Europäern häufig so.

Einer dieser jungen Japaner ging sogar so weit, seinen Kühlschrank herzuschenken. Als dann der Sommer kam, musste er erkennen, dass ein Kühlschrank doch ganz praktisch ist. Da frage ich mich doch, wie viel Minimalismus ist sinnvoll?

Vor einigen Tage hörte ich ein Kabarettprogramm. Der Kabarettist sagte: „Vor unserer Türe stehen die „hungrigen“ Inder und Chinesen, die etwas im Leben erreichen wollen. Zu denen sage ich: „Was wollt Ihr denn? Ich habe eh genug“.

Ein Satz, bei dem ich zwei Mal hinhorchen musste, der es aber in sich hat. Wir fühlen uns zum Minimalismus hingezogen, weil wir so viel haben, andere sehen das sicherlich nicht gleich.

Ich sehe da Parallelen in der Entwicklung der japanischen Teezeremonie, wie wir sie heute kennen.

Sie wird oft gepriesen ob ihrer „einfachen“ Ästhetik. Nur das Wesentliche ist in einem Teeraum vorhanden. Einfache Gegenstände, diese aber von höchster Eleganz, werden verwendet. Eine einfache Schale aus grober Keramik, ein Holzkästchen aus Lack ohne Verzierung, für diese Einfachheit steht die minimalistische Ästhetik.

Bevor der „Minimalismus“ in der Teezeremonie Einzug hielt, sah es jedoch ganz anders aus: Shogun Toyotomi Hideyoshi liebte großen Prunk. Er ließ sich einen Teeraum bauen, wo alle Gegenstände aus Gold hergestellt waren – ausgenommen dem Teebesen aus Bambus,  einem weissen Tuch und einem hölzernen Wasserschöpfer. Die Wände waren vergoldet und die Papierschiebewände nicht mit weissem Papier, sondern mit einem roten Teppich bespannt. Genau zu dieser Zeit trat der Reformer Sen no Rikyu auf. Er führte den schmucklosen Teeraum ein und entkleidete die Utensilien allen zusätzlichen Schmucks. Er schuf die radikal minimalistische Teezeremonie, wie wir sie heute kennen.

Ungefähr an so einem Punkt stehen wir heute auch. Jene Menschen, die zu viel haben, träumen vom einfachen Leben. Doch wirklich tauschen möchte wohl niemand mit einer chinesischen Fabriksarbeiterin, die in einer Einzimmerwohnung nur mit dem Nötigsten lebt .

Daher ist meine heutige Erkenntnis: Die Sehnsucht nach Minimalismus wächst nur auf dem Boden des Überflusses.